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Der Naumburger Altar mit Michael Triegels neuer Mitteltafel ist in Paderborn ausgestellt

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Von: Ralf Stiftel

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Michael Triegels Mitteltafel zum Naumburger Altar mit der „Sacra conversatione“
Heilige sehen uns an in Michael Triegels Mitteltafel mit der „Sacra conversatione“ (Detail). Der für den Naumburger Dom bestimmte, umstrittene Altar ist im Diözesanmuseum Paderborn ausgestellt. © Galerie Schwind, Leipzig

Paderborn – Auf diesem Gemälde suchen die Dargestellten den Blickkontakt mit den Betrachtern. Allen voran mit wachen, aufmerksamen Augen das Christuskind, das von seiner Mutter Maria hochgehalten wird, präsentiert nicht für die Menschen hinter ihr, sondern für jemanden außerhalb des Bilds. In dieser „Sacra conversatione“ ist eine Gemeinschaft gemeint, die über das Abgebildete hinausreicht.

Michael Triegel, einer der prominentesten Vertreter der neuen Leipziger Malerschule, hat dieses Bild im Auftrag der Domstifter des Naumburger Doms geschaffen. Es ist als Ersatz für die Mitteltafel eines Altars von Lucas Cranach gedacht, die 1541 von protestantischen Bilderstürmern zerstört wurde. Das Bild ist ein Streitgegenstand. Der vervollständigte Altar soll an seinen alten Platz im Westchor des Doms zurückkehren. Für die Initiatoren ist es die Wiedergewinnung des liturgischen Zentrums des Gotteshauses. Aber auch touristisch ist der rekonstruierte Altar ein Riesenerfolg. Die Aufstellung lockte Besucher in Scharen.

Kritik kam hingegen vom Weltdenkmalrat Icomos. Der sieht das Welterbe Naumburger Dom bedroht, weil der Altar den Blick auf die zwölf berühmten Stifterfiguren beeinträchtigt, darunter die Uta, eine der bedeutendsten Skulpturen der Gotik. Das Retabel ziehe alle Aufmerksamkeit auf sich und lasse die Weltkulturerbestätte Westchor in den Hintergrund treten. Auf die scharfe Kritik wurde reagiert: Der Altar wurde nicht, wie ursprünglich geplant, drei Jahre lang aufgestellt. Stattdessen geht das Werk auf Reisen. Zur Zeit ist es im Diözesanmuseum Paderborn zu sehen.

Die Art, wie sich Triegel das altmeisterliche Handwerk angeeignet hat, ist überwältigend. Bis hin zum Goldgrund übernimmt er die Bildsprache seines großen Kollegen. Die „Sacra conversatione“ bezeichnet Darstellungen von Maria und Christuskind, umgeben von Heiligen. Triegel arbeitet in seiner überlebensgroßen Darstellung (die Mitteltafel ist fast zweieinhalb Meter hoch) mit höchstem, präzisestem Realismus, man meint, selbst jedes einzelne Haar Mariens greifen zu können. Für jede dargestellte Person gibt es reale Vorbilder, Maria ist ein Porträt von Triegels Tochter, die rechts hinter ihr stehende Anna ist Triegels Frau. Am rechten Bildrand sieht man den Apostel Petrus, der einen Schlüssel hochhält und eine rote Basecap trägt. Für ihn nahm sich Triegel einen Obdachlosen aus Rom als Modell. Daneben steht Paulus, geformt nach einem Juden, den Triegel vor der Klagemauer in Jerusalem traf. Links neben Maria blickt den Betrachter eine Person an, die einem evangelischen Heiligen am nächsten kommt: Dietrich Bonhoeffer, der im KZ Flossenbürg ermordete Theologe.

Triegel setzt zahlreiche Elemente der altmeisterlichen Sakral-Ikonografie ein, von der Schlange, die sich unter Mariens Fuß windet, das sinnbildlich überwundene Böse, über die Schnecke (ein Symbol der Auferstehung) und den virtuos eingefangenen aufflatternden Stieglitz (Symbol des Martyriums) bis zu den Marienblumen im Rasenstück. Man merkt, dass der Künstler von Theologen beraten wurde, um die perfekte Mischung aus eingängigem Bild und Verkündung zu finden. Gleichwohl darf man zweifeln. Irgendwie berührt die makellose, saubere Gruppe nicht, die sich da steif um die Gottesmutter aufgestellt hat. Dieses Ensemble heischt gefallsüchtig um Sympathie, und vom flüchtigen Betrachter bekommt es sie ja auch. Aber ein exakt nach Foto erstelltes Porträt vermittelt eben nicht die Geschichte des tapferen bekennenden Christen Bonhoeffer. Die alten Meister hatten es leichter, sie konnten ihren Heiligen wenigsten die Symbole ihres Martyriums in die Hand geben. Der Goldgrund wurde ja von mittelalterlichen Malern eingesetzt, bei Cranach war er eigentlich schon veraltet. Umso mehr ist Triegels Tafel zwar malerisch souverän, aber inhaltlich eine willkürliche, wenig überzeugende Aktualisierung. Wie er die Mädchen als musizierende Engel malt, mit allen Niedlichkeitsattributen, das soll Mutterherzen öffnen.

Es ist nicht nur die Patina der 500 Jahre, die Cranachs Tafeln hier abhebt. Seine Heiligen blicken gerade nicht aus dem Bild, sie sind im Jenseitsgeschehen gefangen, und wir dürfen uns nicht einbilden, ihnen so nahezukommen wie die Stifter zu ihren Füßen. Es sind herbe Figuren. Man betrachtet diese Rekonstruktion und erkennt möglicherweise, warum alte Kunstmittel nach 500 Jahren nicht mehr tragen. Wenn man zum Beispiel Werke von Bill Viola oder Berlinde de Bruyckere betrachtet, sieht man Aktualisierungen, die funktionieren.

Diese ästhetischen Fragen berühren nicht den Streit um die Aufstellung im Naumburger Dom. Dabei geht es in erster Linie um Aspekte der Liturgie und der Glaubenspraxis. Der rekonstruierte Altar ist auch als gottesdienstliches Element gedacht, und die örtlichen Entscheidungsträger müssen einen Ausgleich finden zwischen dem historischen Zeugnis, das es zu bewahren und zu respektieren gilt, und den Erfordernissen des Gemeindelebens, also der Nachfahren derjenigen, die diesen Ort erschaffen haben.

Bis 11.6., di – so 10 – 18 Uhr, Tel. 05251 / 125 1400,

www.dioezesanmuseum-paderborn.de

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