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„Mythos und Moderne“ ist eine Ausstellung über Fußball im Ruhrgebiet im Ruhr Museum Essen

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Von: Achim Lettmann

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Fußball vor Wohnhäusern und den Kühltürmen der Zeche Victoria Mathias in Essen setzte der Fotograf Chargesheimer 1957 ins Bild.
Fußball vor Wohnhäusern und den Kühltürmen der Zeche Victoria Mathias in Essen setzte der Fotograf Chargesheimer 1957 ins Bild. Zu sehen in der Ausstellung „Mythos & Moderne. Fußball im Ruhrgebiet“ im Ruhr Museum in Essen. © chargesheimer/rheinisches bildarchiv Köln

450 Fotografien erzählen im Ruhr Museum Essen die Geschichte des Ruhrgebietsfußball seit 100 Jahren. Die Schau „Mythos & Moderne“ ist eine Kooperation mit dem Deutschen Fußballmuseum.

Essen – Wer das Bild des Fotografen Chargesheimer betrachtet, kommt nicht darauf, welche Kraft der Fußball im Ruhrgebiet schon 1957 hatte. Der Kölner Carl-Heinz Hargesheimer hält aber die Zutaten des Ruhrgebietsfußball fest: das Sportfeld, die Wohnhäuser, die Zeche, Spieler und Zuschauer. Die Aufnahme „Im Ruhrgebiet, Fußballplatz“ wirkt etwas kulissenhaft und neigt sich merkwürdig nach rechts. Vielleicht liegt in dem Unperfekten der Szenerie die Hoffnung, über den Fußball etwas zu verbessern – auch das eigene Leben. Chargesheimer bietet in seiner Reportage Eindrücke aus der Montanregion. Und Fußball gehört zwischen Duisburg und Hamm zum Leben, wie in keiner anderen Gegend Deutschlands. Eigentlich ist dies die Kernbotschaft einer Ausstellung, die sich über Fotografien dem Sportphänomen nähert. „Mythos & Moderne. Fußball im Ruhrgebiet“ präsentiert im Essener Ruhr Museum ab Montag 450 Aufnahmen. Es ist ein Muss für jeden Fußballfan.

Die Bedeutung des Ballspiels nimmt weiter zu. Die Stiftung Fußball & Kultur EURO 2024, vom Bund gefördert, unterstützt zusammen mit der RAG-Stiftung als Hauptsponsor diese Ausstellung. Es ist das erste Projekt im Bundes-Kulturprogramm zur Europameisterschaft. Das Ruhr Museum kooperiert mit dem Deutschen Fußballmuseum in Dortmund. „Es sind die beiden meistbesuchten Museen im Ruhrgebiet“, sagt Manuel Neukirchner, Direktor des Fußballmuseums. Grundlage ist die Fotografische Sammlung des Ruhr Museums. Unter den vier Millionen Bildern gibt es auch 60 000 zum Fußball. Revierderbys, Stadionbesuch, Lebensgefühl, auf dem Platz, am Spielfeldrand, Legenden und Idole. Insgesamt ist „Mythos & Moderne“ in elf Kapitel unterteilt, die sich aus den Bildern ergeben haben. Aufnahmen aus Archiven, von Sportagenturen und Fotografen kamen noch hinzu. „Jeder findet hier seine Geschichte in den letzten hundert Jahren“, sagt Theo Grütter, Direktor des Ruhr Museums. Ob die Meistermannschaft von Borussia Dortmund 1997 über den Sieg in der Champions League jubelt oder die Fans in Gelsenkirchen feiern, weil der FC Schalke 04 den DFB-Pokal 2002 holte, immer denken Generationen von Fans Triumphe aus früheren Zeiten mit. Grütter stellt die tiefe Verbundenheit zum Fußball heraus. Es sei der letzte Kitt in der Region. Wo der Kirche die Mitglieder weglaufen, ist es in der Politik nicht anders. Die SPD schwächelt in ihren Hochburgen. Was bleibt, ist der Fußball – eine Identität.

Nostalgisch wird die Ausstellung, weil die Schwarzweiß-Fotografien eine andere Zeit bezeugen. Von den 1920er Jahren an reicht der „Mythos“-Teil der Ausstellung bis in die 80er Jahre. Magazine zeigten Sport in Farbe. Aber erst Ende der 90er Jahre setzte sich die Farbfotografie bei Verlagen und Zeitungen durch. Der „Moderne“-Teil belegt bildhaft, dass digitale Techniken den Fußball zu jeder Zeit verfügbar machen. Fotograf Andreas Gursky vervielfältig seine Fotodateien von der Dortmunder Süd-Tribüne zum Großformatfoto „Dortmund (2009)“. Fußball ist ein Kunstthema geworden. Manuel Neukirchner vom Fußballmuseum arbeitet bereits daran. Schon die klassische Moderne kannte Fußball-Motive, sagte er in Essen.

Der Fußball ist ein lukratives Geschäft geworden: TV-Gelder, Einnahmen aus der Champions League, Marketing und Merchandising. In Essen zeigen Fotos von Ascheplätzen, wie groß die Kuft zwischen Profis und Freizeitsportlern geworden ist. Über 50 Prozent der Amateurvereine in den unteren Ligen gelten als Migrations-clubs. Von Schiedsrichtern sind keine Fotos zu sehen. Frauenfußball ist in den Kapiteln einsortiert. Es findet sich ein Porträt von Alexandra Popp (VfL Wolfsburg), gebürtig aus Witten an der Ruhr. SGS Essen und MSV Duisburg spielen in der Frauen-Bundesliga. Zeitungs- und Dokumentarfotografen haben den Ballsport kraftvoll und dynamisch ins Bild gesetzt. Ein Zweikampf vor dem Förderturm der Zeche Mont Cenis 1961 in Herne verbindet Fußball und Bergbau. Solche Bilder huldigen dem „Malochersport“. Vor allem Fotos von Marga Kingler, Willy van Heekern, Anton Tripp, Jürgen Hebestreit und Ludwig Windstosser typisieren das Bild vom Ruhrgebietsfußball. Ahnherren sind die Kumpel der Zeche Consol Fritz Szepan und Ernst Kuzorra vom FC Schalke 04. Ihre Meisterschaften der 30/40er Jahre basierten aber nicht nur auf Maloche, sondern auf Technik und Taktik, dem „Schalker Kreisel“. Heute heißt das One-Touch-Fußball. Alle Geschichten erzählen die Fotografien in Essen nicht, aber die Bilder setzen Erinnerungen in Bewegung.

Eröffnung, Sonntag, 18 Uhr, Halle 5, mit Otto Rehagel, Bernhard Dietz, Rüdiger Abramczik, Ingo Anderbrügge und den Kremers-Zwillingen. Ausstellung 8.5. bis 4.2. 2024; di – so 10 – 18 Uhr; Tel. 0201/24681 444, Katalog im Klartext-Verlag 29,95 Euro, www.ruhrmuseum.de

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