Die Ausstellung ist betitelt nach einem Selbstporträt von 1995, „C‘est moi. Et alors?“. Da blickt sie uns entgegen aus riesigen Augen, selbstbewusst. Klein gemacht hat sie sich nicht. Aber sie arbeitete im Künstlerhaushalt stets doppelt, einerseits Seite an Seite mit ihrem Mann malend. Andererseits kümmerte sie sich ums Praktische, von Briefwechseln über Ausstellungsplanung bis zur Pflege der Werkverzeichnisse. Sie schätzte das Verhältnis realistisch ein: „... eigentlich erzwinge ich mir die Zeit zum eigenen Schaffen. Das macht mich unglücklich, ich hoffe, auch meinen Mann, der ein großer, großer Künstler ist, aber ein noch größerer Egoist, das wissen alle Freunde.“ Doch sie blieben zusammen. Sie nannten sich „Spinne“ und „Bär“, arbeiteten gelegentlich zusammen.
Die in Brandenburg geborene Künstlerin hat zunächst geschrieben. Zur Kunst kam sie als Autodidaktin. Man findet in ihren Arbeiten durchgängig ein erzählerisches Moment. Eine frühe Tuschzeichnung heißt „eine traum-story für meinen grossen Bären“, und da rahmen Textzeilen das filigrane Linienwerk. Viele Bilder beziehen sich auf Mythen und Märchen, wie „Begegnung im Zauberwald“ (1954) und „Mädchen und Einhorn“ (1957). Bei „La belle et la bête“ (1955) verwandelt sich nicht das Monster in den edlen Prinzen, sondern die nackte Schöne wird umrankt von Blättern und Blüten, als wäre sie Dornröschen.
Man findet gerade im Frühwerk die Inspirationen Ursulas. Sie bezieht sich auf die Surrealisten, zum Beispiel auf Max Ernst. Sie greift ein berühmtes Gemälde von Otto Dix auf, übernimmt den flächigen, fragmentierenden Bildaufbau der Moderne zum Beispiel von Matisse. Sogar alte Meister zitiert sie wie Arcimboldo. Das berühmte Porträt der Herzogin Gabrielle d‘Estrées des anonymen Malers der Schule von Fontainebleau aus dem Louvre, die im Bad ihrer Schwester an den Busen greift, inspiriert Ursulas „Hommage à l‘École des Fontainebleau“ (1976). Wobei die zarte Fingergeste auf spitze Krallen übertragen wird.
Aber Ursula passt auch nicht richtig in die Surrealisten-Schublade. Selbst wenn sie massiv Pelz und andere Materialien einsetzt wie einst Meret Oppenheim („Pelztasse“, 1936). In Ursulas feinteiligen Zeichnungen und Gemälden wirkt die Naive nach, wie sie der Maler Henri Rousseau prägte. Und ihre Arbeiten erinnern ebenso an die quer zur Realität stehenden Kompositionen der Outsiderkunst. Der Künstler Jean Dubuffet, der den Begriff „Art brut“ prägte, sah die Verwandtschaft. Er nahm 1954 Werke von ihr in sein Musée de l‘art brut auf.
In diese Bildwelt steigt man ein, als unternähme man eine Expedition in einen Dschungel voll fiebriger Träume. Die Künstlerin pflegt das All-Over, füllt oft noch den letzten leeren Fleck mit Schraffuren, Mustern, Strukturen, Binnenmotiven. So entdeckt man in dem 2,30 Meter breiten Gemälde „Meine Berlin-Träume in Mittenwalde“ (1977) Wassergeschöpfe und Vögel, wuchernde Wurzeln und Zweige, Häuserreihen ebenso wie ein groteskes Gesicht mit Augen, aus denen schwarze Tränen strömen, und einem phallisch verlängerten Rüssel.
Die Dinge und Wesen sind hier nicht scharf getrennt. Eins geht ins andere über, und der schweifende Blick muss die Motive und Details aufschließen. Da treiben mikrobenhafte Gebilde, Tentakelträger, Insektiges in der Fläche, ohne dass sich ein sinnvoller Raum erschließen ließe. Oberflächen sind nicht glatt, sondern mit Federn, Blasen, Haaren überzogen. Schon früh begnügt sie sich nicht mit bloßer Malerei, fügt Material hinzu. Auf das Bild „Dieses Pelzgesicht träumt vom nächsten Jahrzehnt“ (1965/66) klebt sie Pelzstreifen. Und im Zentrum findet man, wie in einer Mandorla, ein winziges Püppchen. Viele Werke sind so mehrfach lesbar, auf einer Mikro- und einer Makro-Ebene: Ein Gesicht kann eine Landschaft enthalten. Eine Stadt entpuppt sich als Antlitz.
Ursula nutzt die Verwandlung und den Übergang als Prinzip. Ihre Werke werden zu idealen Medien für Motive, die sich eindeutiger Zuschreibung entziehen: Gefühle, Triebe, Visionen. Bei ist ihr „Salomé“ keine Männerfantasie, keine Femme fatale, sondern eine geisterhafte Erscheinung, eine Naturkraft, aus deren medusenhaftem Haupt Schlangen züngeln.
Das Naive steht bei ihr nicht für Lieblichkeit und Unschuld. Man sieht es auch an den schreinartigen Objektkästen, die sie ab den 1960er Jahren baut. Den „Pandora-Schrank mit den vielen Gesichtern“ (1969/77) kleidet sie mit Pelz aus, stellt bearbeitete Schaufensterköpfe hinein, bemalt die Wände und arbeitet weiteres Material auf wie Steine, Fell, Federn, Ketten. Ein gemaltes Gesicht hat Augen aus Glassteinen und im Mund einzelne, echte Zähne aufgeklebt. Wie bei der Büchse der mythologischen Pandora vermittelt das Objekt eine diffuse Mischung aus Verlockung und Bedrohung, aus Schönheit und Schrecken.
Man geht durch die überbordende Präsentation wie durch einen Bilderdschungel. Diese Fülle ist in einigen Stunden kaum zu fassen. Zuweilen fühlt man sich als Eindringling, denn Ursula scheint in ihren Bildern oft tagebuchartig eigene Befindlichkeiten zu verarbeiten. Das Gemälde „Der Fisch im Bauch“ (1988) spiegelt wohl Alkoholprobleme der Künstlerin.
Der radikale Blick auf sich selbst, das Befragen von Geschlechterrollen, die Empfindlichkeit und Empfänglichkeit für die innere und äußere Natur prägen Ursulas Werk. Es scheint, als ob diese Qualitäten gerade heute auf Resonanz stoßen.
Bis 23.7.,
di – so 10 – 18 Uhr,
Tel. 0221/ 221 26165
www.museum-ludwig.de
Katalog, Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln, 38 Euro