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Das Internationale „hellwach“-Theaterfestival in Hamm fragt nach den Erfolgsgründen bei jungem Publikum

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Von: Achim Lettmann

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Farben, Formen und Töne spielen im Stück „Klangvogel“ des Kolibri Theatre aus Budapest eine große Rolle.
Farben, Formen und Töne spielen im Stück „Klangvogel“ des Kolibri Theatre aus Budapest eine große Rolle. Die Ungarn treten beim internationalen Theaterfestival „hellwach“ in Hamm auf. © Gero Bardi

Das Helios Theater in Hamm veranstaltet zum zehnten Mal das Internationale „hellwach“-Theaterfestival für junges Publikum. Wie es der Branche geht, soll ein Gesprächskreis ermitteln.

Hamm – Theaterfestivals sind angesagt. Die Ruhrfestspiele locken derzeit nach Recklinghausen, und die Mülheimer Theatertage drehen sich ab Samstag um neue deutschsprachige Stücke. Dass das Interesse an Bühnenfesten nicht nur mit der Pandemie-Pause zu tun hat, weiß das Helios Theater in Hamm. Am 20. Mai eröffnen Barbara Kölling, Michael Lurse und ihr Team die 10. Ausgabe des internationalen Theaterfestivals „hellwach“ für junges Publikum. Kein Schwergewicht in der Branche, aber ein lebhaftes Fest mit rund 2000 Zuschauern (Etat 128 000 Euro). Das Programm (20. bis 28. Mai) umfasst 25 Vorstellungen und zehn Produktionen aus Frankreich, Italien, Slowenien, Ungarn, der Ukraine, Mexiko, Ruanda, den Niederlanden und Deutschland. Gespielt wird in Hamm, Ahlen, Bergkamen, Lippstadt und Lünen.

Mit der ersten Ausgabe von „hellwach“ im Jahr 2001 ging das Helios Theater in die Region Hellweg, bot Theater für die Allerkleinsten und machte Theaterformen erfahrbar, die mehr waren als Erzählstoff aus der Guckkastenbühne. Zur 10. Ausgabe des Festivals erhielt „hellwach“ eine institutionelle Landesförderung. Diesen Erfolg führt Barbara Kölling auf das künstlerische Konzept von „hellwach“ zurück, auf die Aufführungen in der Region und auf das internationale Engagement des Helios Theaters. Außerdem wurde erreicht, dass das Konzept „Theater von Anfang an“ ein künstlerisches wie pädagogisches Angebot eröffnet, um junge Menschen stärker zu machen, damit sie zu sich selbst finden.

„Kultur ist für Jugendliche wichtiger geworden“, sagt Barbara Kölling und stellt fest, dass Theaterfestivals weiterhin Zulauf haben – nicht nur in Hamm. Rund 15 internationale Festivals für junges Publikum gibt es in Deutschland. Sie setzen auf künstlerische Herausforderungen für ihr Publikum anstelle von Bespaßung. Zu den Größten zählt „Starke Stücke“ in der Rhein-Main-Region. Susanne Freiling startete 1994 mit zwei freien Theatern in Frankfurt und dem Jugendamt. „Langsames Wachstum“ nennt sie ihr Erfolgskonzept. Im März bot die 29. Auflage 21 Theaterkompanien an 49 Spielorten. Über 10 000 Kinder besuchten die 130 Vorstellungen. Seit 2009 hat ein Festivalbüro die Koordination übernommen. Das Budget liegt bei rund 500 000 Euro. „Wir müssen jetzt aufpassen“, sagt Freiling (Theaterhaus Frankfurt) und meint einen möglichen Kontrollverlust angesichts der Produktionszahlen. Für die Stücke entscheide man sich in einem demokratischen Prozess, sagt die Regisseurin. Das Leitungsteam identifiziert sich sehr mit „Starke Stücke“. Örtliche Veranstalter zahlen ihre Aufführungen selbst.

Für das Festival „Panoptikum“ in Nürnberg zieht ein Sichtungsteam durch Europa, um Produktionen einzuladen. „Wir müssen es sehen“, sagt Andrea Erl (Theater Mummpitz), um die Qualität der Inszenierungen zu garantieren. Mit gut gemeinten Empfehlungen habe man schlechte Erfahrungen gemacht, sagt die Regisseurin. 2022 gab es die 12. Auflage des bayerisch-europäischen Publikumsfestivals für Kinder (bis 12 Jahre) mit 20 Produktionen. 4000 Besucher verteilten sich auf fünf Spielstätten (Etat 250 000 Euro). In Nürnberg wird Gemeinschaft gelebt. Die Theatergruppen bleiben eine Woche in der Stadt und nehmen am abschließenden Essen teil.

Als Alleinstellungsmerkmal für das Publikumsfestival Fratz International streicht Vera Strobel „Babyperformances“ heraus. „Da waren wir lange Zeit die einzigen“, sagt Strobel (Theater o. N.). Das Festival (Etat 250 000 Euro) gibt es seit zehn Jahren in Berlin-Prenzlauer-Berg. Es lädt Theater aus Europa und der ganzen Welt ein. 2022 gab es acht Inszenierungen für Kinder –null bis sechs Jahre. Wieder hat das Festival eine Vier-Jahres-Förderung erhalten. „Das beste, was es in Berlin gibt“, sagt Strobel. Die Konkurrenz ist groß in der Hauptstadt. Eine institutionelle Förderung wie fürs Helios Theater in NRW ist nicht vorgesehen.

Internationale Festivals sind attraktiv, weil sie neue Spielformen, Theatertrends und den Reiz anderer Kulturen bieten. Vor allem hat sich der Tanz als beliebter Programmpunkt in den letzten Jahrzehnten durchgesetzt. Kinder reagieren unmittelbar auf Bewegungen. Sehr nachgefragt ist der Neue Zirkus mit seinen erzählerischen Akzenten. „Da würden wir lieber viel mehr machen“, sagt Susanne Freiling (Frankfurt), die noch ganz aktuell „lecture performance“ her–ausstellt. Gemeint sind Aufführungen zu einem Thema mit verschiedenen Mitteln. Außerdem nehmen Performances und Installationen zu, sagt Andrea Erl (Nürnberg). Sie hat die Erfahrung gemacht, dass Künstler aus Belgien und den Niederlanden so ausgebildet sind, dass sie Musik, Tanz und Objektkunst anbieten. Das Festival „Panoptikum“ will 2024 eine begehbare Ausstellung präsentieren. Thema: Trauer und Trost. Vera Strobel (Berlin) sieht „hybride Formen“ auf dem Vormarsch und in „all ages“ einen neuen Trend – generationsübergreifendes Theater für alle.

Festivals mit internationalem Programm sind auch deshalb erfolgreich, weil es keine Schwierigkeiten gibt, sich zu verständigen. Englisch, französisch – kein Problem in der Rhein-Main-Region. „Wir haben eine große Community in Frankfurt“, sagt Freiling. Übertitel kommen nicht in Frage, weil dann Menschen ausgeschlossen werden, die nicht schnell genug lesen können. Viele Inszenierungen sind weniger sprachbasiert. Mit kurzen Hilfen von Schauspielseite lassen sich auch Geschichten in anderen Sprachen verstehen. Und ein Ziel der Theatermacherinnen ist, Sprache hörbar zu machen. Kinder verstehen oft mehr, als Erwachsene erwarten, ist eine Erfahrung von Barbara Kölling (Hamm).

Zum „hellwach“-Festival treffen sich Theatermacher und Regisseurinnen zu „Festivals im Gespräch“ am 25. Mai. Vielleicht werden beim Erfahrungsaustausch auch Standards gesetzt. Denn Gruppen aus Afrika sind günstiger zu haben als solche aus europäischen Metropolen. Michael Lurse (Hamm) möchte über die Verantwortung von Veranstaltern sprechen. Für Gruppen aus Übersee sind Engagements in Industrieländern sehr wichtig. Oftmals sichern diese Gagen die Existenz der Theaterleute über Monate.

Und wie wirkt sich die Klimakrise auf die Auswahl der Gruppen aus? Kommen Indien und Argentinien gar nicht mehr in Frage? Über das Diskurs-Stadium „Dürfen wir überhaupt noch Festivals machen“, wie es Andrea Erl (Nürnberg) ausdrückt, sind mittlerweile alle hinaus. Der kulturelle Austausch muss bleiben, ist allgemeiner Tenor. Und: Wir halten den ökologischen Fußabdruck klein. „Wir fliegen nicht mehr zum Sichten“, sagt Erl. Und die eingeladenen Gruppen bleiben länger, damit sie mit dem Zug anreisen können. Erl hat dafür schon Förderanträge gestellt.

Beim „hellwach“-Festival in Hamm wird das Teatro la Vacío aus Mexiko sechsmal auftreten. Außerdem hat Theatermacher Steffen Mohr die Gruppe für acht Termine im Dortmunder Depot gebucht. Die Festivals wollen nachhaltig sein. „Wir sind noch nicht sehr weit“, sagt Susanne Freiling. „Starke Stücke“ sei mit 49 Spielorten so groß, dass es mit den Veranstaltern schwierig sei, sich auf ein Nachhaltigkeitskonzept zu einigen, so Freiling. Aber man habe das Problem im Blick. Wie auch Fratz International. Spielformate ließen sich mit anderen Festivals austauschen, sagt Vera Strobel (Berlin). Aber sie macht keinen Hehl daraus, dass ihr Festival noch am Anfang steht. Die Gesprächsrunde bei „hellwach“ kann helfen.

„hellwach“-Festival, 20. bis 28. Mai mit Rahmenprogramm, Tel. 02381/926837; www.helios-theater.de/hellwach. Aufführungen in Lünen, Bergkamen, Ahlen, Lippstadt sind ausverkauft.

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