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Das Dortmunder U zeigt die Ausstellung „Nam June Paik: I Expose the Music“

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Von: Ralf Stiftel

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Ausstellung «Nam June Paik: I Expose the Music» - Sistine Chapel, Rauminstallation
Eine weltliche Andachtshalle voller flüchtiger Bilder: Nam June Paiks Rauminstallation „Sistine Chapel“ (1993/2019) ist erstmals in Deutschland zu sehen, in der Ausstellung im Dortmunder U. © Dieter Menne / dpa

Dortmund – Ein Rausch der Farben, ein Schwall dröhnender Stimmen und Musik. Alle Sinne sind angespannt in Nam June Paiks „Sistine Chapel“. Seine sixtinische Kapelle schuf der koreanischen Künstler (1932–2006) für die Biennale von Venedig. 1993 war das revolutionär. Paik schuf ein gegenwärtiges Gegenstück zum monumentalen Schöpfungsmythos von Michelangelo.

Im technischen Zeitalter arbeitet man nicht mit Fresken. Stattdessen projiziert man die flüchtigen Bilder der Medien an Wände und Decken. Die Helden Paiks freilich sind nicht Adam, Moses, Christus. Er verewigt Heroen der Kunst und der Popkultur, Josef Beuys trifft auf David Bowie. Man sieht eine nackte Frau, die sich auf einer Fahne räkelt, man hört Janis Joplin singen. Die ewigen Werte des Abendlandes wurden abgelöst durch eine flüchtige schnelle Konsumkultur.

34 Videoprojektoren werfen die Bilder von vier Spuren in den Raum. Ein Zufallsgenerator steuert die sich überlagernden Bildfelder, die nicht statisch bleiben, sondern ebenfalls tanzen. Manchmal ist der Soundtrack chaotisch, manchmal herrscht meditative Stille. Die Arbeit war noch nie zuvor in Deutschland zu sehen. Jetzt bildet sie den Höhepunkt der Ausstellung „Nam June Paik: I Expose the Music“ im Dortmunder U.

Gastkurator Rudolf Frieling vom San Francisco Museum of Modern Art rückt den Aspekt der Klangkunst ins Zentrum. Paik ist berühmt als Erfinder der Videokunst. Weniger bekannt ist, dass er ursprünglich Musik studierte, ausgebildeter Komponist war, der erst in Tokio, dann in München und Köln studiert hat. Um 1960 trat er mit konzertanten Auftritten an die Öffentlichkeit, die eigentlich Aktionskunst waren. Auch John Cage, der Mentor der Fluxus-Bewegung, war Komponist. Paiks erste Ausstellung 1963 in der Wuppertaler Galerie Parnass trug den Titel „Exposition of music – Electronic television“. Man kann das gesamte Schaffen des Künstlers als musikalisch betrachten. In Dortmund wird dieser Themenstrang sehr stimmig verfolgt. Rund 100 Arbeiten bietet der Rundgang, von den frühen Partituren bis zu den ausgefeilten großen Videokreationen der 1980er und 1990er Jahre. Da sieht man die optisch relativ schlichte Partitur einer Sinfonie, für deren Aufführung Paik eine Dauer von 1000 Jahren vorsah. Oder Fotos einer Performance, bei der eine Geige auf dem behelmten Kopf eines Zuschauers zerschlagen wird.

Fluxus bedeutete eine anarchische Befreiung von den Kunstkonventionen. Es wurden nicht mehr statische Bilder oder Skulpturen ausgestellt. Stattdessen gab es Aktionen, Performances, gerne auch provokativ. Die Fluxus-Kunst bildet einen Schwerpunkt in der Sammlung des Museums Ostwall. Die Direktorinnen Regina Selters und Florence Thomas wollen diesen Bestand kontinuierlich erkunden und der Öffentlichkeit vorstellen. Paik als eine zentrale Figur drängt sich da auf, zumal er mit vielen Kollegen kooperierte und einige seiner prägenden Performances zum Beispiel mit der Cellistin Charlotte Moorman realisierte.

Eines der frühesten Exponate wirkt zunächst überhaupt nicht musikalisch gestimmt: Die „Box for Zen“ (1963) ist ein schlichter Koffer voller Kram. Erst allmählich erschließt sich, dass alle Objekte um Musik kreisen, von der Zeitschrift über Kabel und Lautsprecher bis zur Schallplatte. Eines der zentralen Paik-Stücke in der Sammlung des Museums Ostwall ist der „Schallplatten-Schaschlik“ (1963/1980), eine Art Persiflage auf die klassische Musikbox. Die Vinyl-Platten sind hier nicht säuberlich arrangiert in einem beleuchteten Schrank. Sie stecken auf Spießen wie archaische Totemobjekte, und der Besucher kann sie theoretisch mit einem beweglichen Tonabnehmer abhören. Aus konservatorischen Gründen ist das heute nicht mehr möglich. Aber an anderen Stellen ist das Mitmach-Prinzip von Fluxus in der Ausstellung schön realisiert. So kleben bei „Random Access“ (1963/2000) Tonbandstreifen an der Wand. Besucher können nun zu einem Stift mit einem Tonkopf greifen und darüber fahren. An den passenden Stellen erklingen zufällige Geräusche. Bei der Installation „Participation TV“ (1969/1980) stehen Mikrofone vor einem Fernsehgerät. Wer karaokemäßig hineinsingt, lässt das abstrakte Muster auf dem Bildschirm reagieren. Der Ton macht das Bild.

So durchziehen musikalische Motive das Schaffen Paiks. Er selbst hielt sich für einen schlechten Pianisten und Komponisten. Trotzdem trat er immer wieder auf. In Videos kann man einige seiner Auftritte verfolgen, die natürlich gegen Konventionen des Konzertbetriebs verstießen. Da spielte er, während das Instrument zersägt wurde. Oder er gab Handzeichen, auf die hin Möbelpacker das Klavier umstießen, wobei Tasten schon mal herausbrachen. Legendär sind seine Kooperationen mit der Cellistin Charlotte Moorman, die für ihn nackt musizierte oder auch den Künstler als Instrument benutzte. In der Schau sieht man unter anderem das „TV Cello“ (1996), bei dem Bildschirme den Korpus des Instruments bilden. Über sie flimmert das Bild der Musikerin.

Auf großen Leinwänden werden spektakuläre Aktionen zu sehen wie die Konzerte „Good Morning Mr. Orwell“ (1984) und „Bye Bye Kipling“ (1986), für die per Satellit Musiker und Künstler kontinentübergreifend zusammen agierten, darunter Laurie Anderson, John Cage, Peter Gabriel.

Aber man findet auch Paiks leise Seiten. In Holztafeln ritzte er Linien, als wären es Schallplatten („Orchestra“, 1991). Und in ein Fenster des U zum Dortmunder Bahnhof stellten die Ausstellungsmacher „Zenith (TV Looking Glass)“ (1974), ein entkerntes frühes Fernsehgerät. Darin steht eine alte Videokamera. Auf ihrem kleinen Monitor sieht man die Außenwelt, gefiltert durch das Medium. Das nimmt visionär eine Zeit vorweg, in der Menschen die Außenwelt nur noch durch Geräte wahrnehmen.

Bis 27.8., di – so 11 – 18, do, fr bis 20 Uhr, Tel. 0231/ 5024 723, www.dortmunder-u.de/nam-june-paik

Katalog, Spector Books, Leipzig, 29,90 Euro

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