Um die Person macht das Haus ein großes Geheimnis, vor allem, weil der Sammler nicht genannt werden will. Er hat Wohnsitze in Frankfurt und New York, die voller Kunst sind. Seine Auswahl umfasst nur einen Teil des in 40 Jahren aufgebauten Gesamtbestands, aber sie macht erstmals sichtbar, wo seine Vorlieben liegen. Ursprünglich wollte Kurator Alexander Gaude eine breitere Übersicht bieten. Eine Vitrine am Eingang mit zwei Kunstwerken zum Thema Auge lässt ahnen, in welche Richtung das gegangen wäre. Da blickt uns ein Augenpaar aus einem altägyptischen Sarkophag (332 – 30 v. Chr.) neben der Stahlskulptur „Auge“ (1997) von Louise Bourgeois entgegen. Der Sammler meinte dann allerdings, es sei besser, sich zu konzentrieren, auf im Kern vier Künstler mit Arbeiten aus wichtigen Schaffensphasen.
So setzt die Ausstellung auf Spitzenwerke, wie man sie selten in dieser Qualität vereint findet. Mehr als 40 Arbeiten von Kirchner aus der Hochzeit der „Brücke“ (bis 1914) sind vertreten. Darunter findet man das wunderbar duftige Pastell-Porträt „Kopf Dodo“ (um 1908). Welche Lebensfreude versprüht das Blatt „Drei Tänzerinnen“ (um 1910), ein fröhlicher Can-Can in Tusche und Wasserfarbe. Hinreißend auch die schnell hingeworfenen Zeichnungen wie der Halbakt (um 1907) und „Marcella in der Hängematte“ (1910).
Auch der Namenspatron des Museums ist mit Raritäten vertreten. Zwei frühe Zeichnungen, eine davon noch mit „P. Ruiz Picasso“ signiert, zeigen seine Anfänge, in denen er noch im Bann von Fin-de-Siècle-Meistern wie Toulouse-Lautrec stand. Und ein „Stillleben mit Gitarre, Flasche, Weinglas und Zeitung“ (1914) steht für die kubistische Phase des Künstlers. Auch im Druckbereich wartet die Sammlung mit wahren Schätzen auf. 1939 schuf Picasso eine Serie von Aquatinta-Blättern mit Porträts seiner Geliebten Dora Maar in seinem typischen Stil, der Elemente aus Kubismus und Surrealismus vereint. Sieben Motive umfasst die Serie, kein Museum weltweit besitzt eine komplette Folge. Der Sammler hat immerhin sechs, die nun als farbstarkes Ensemble in der Schau hängen. Einen düsteren Kontrast dazu setzt der „Frauenkopf“, den Picasso 1941 auf eine Seite von „Paris-Soir“ zeichnete. Das Blatt stand für die Kollaboration mit den deutschen Besatzern. Picasso stellte die Mode-Seite auf den Kopf und setzte darauf ein deformiertes, kubistisch verzerrtes Frauenporträt. Museumsdirektor Markus Müller sieht darin eine oppositionelle Widerstandshandlung: Die Seite unter anderem mit dem Foto einer lächelnden Frau überschrieb Picasso mit einem unharmonischen Gegenbild.
Von Miró sind Arbeiten aus den 1920er Jahren ausgestellt, die eine weniger bekannte Seite des spanischen Surrealisten offenbaren. Hauchzarte Zeichnungen voller Poesie wie bei der „Komposition“ (1924). Da hat der Künstler ganz sparsam einige Linien auf einer weiß grundierten Holztafel gezogen, eine Art Landschaft ist angedeutet mit einer organisch rundlich geformten Erhebung. Mittendrin schwebt ein Wesen, vielleicht ein Insekt, vielleicht ein Vogel, und schaut aus runden Augen in die Welt.
Einen Kontrast dazu bietet ein umfangreiches Ensemble mit Gemälden, Skulpturen und Zeichnungen des Bauhaus-Lehrers Oskar Schlemmer. Die Skulptur „Abstrakte Figur“ (1921–1923, Edition 1961) erinnert an ein technisches Gebilde, das aus geometrischen, abgerundeten Elementen zusammengesetzt wurde. Das Bild „Vierergruppe in Grau“ (1930) zeigt weibliche Figuren in Rückenansicht, die Gesichter aufgelöst in den rundlichen kopfformen. Ein typisches Beispiel für Schlemmers Bestreben, den „Neuen Menschen“ darzustellen, der Modernität und Spiritualität vereint. Die bekannteste Formulierung davon findet man im Bild der „Bauhaustreppe“ (1932), das heute im New Yorker Museum of Modern Art hängt.
Abgerundet wird die Ausstellung durch einen Raum mit Werken von Zeitgenossen. Das Gemälde „Auf der Brücke“ (1913) von Lyonel Feininger legt eine Spur zum Bauhaus, wo auch Feininger später Lehrer wurde. Am Bauhaus studierte auch Karl Peter Röhl, von dem drei Zeichnungen gezeigt werden, die mit ihren klar konturierten Elementen konstruktivistische Züge aufweisen. Einige Kopf-Lithografien von Alexej von Jawlensky aus den 1920er Jahren sind zu sehen,
So sind in Münster einige der wichtigsten Tendenzen der Kunst im frühen 20. Jahrhundert mit Spitzenwerken zu erleben, die eine überraschende Stil-Vielfalt vermitteln.
Bis 7.5., di – so 10 – 18 Uhr,
Tel. 0251/ 414 4710,
www.picassomuseum.de
Katalog, Hirmer Verlag, München, 34,90 Euro