Vier Schauspieler sprechen reihum die Lebensbeichte des jungen Dante von seiner heimlichen, verzehrenden Liebe zur unnahbaren Beatrice. Damian Rebgetz, Anna Drexler, Anne Rietmeijer, William Cooper wählen zunächst immer ein leichtes, alltagsnahes Parlando, einen beiläufigen Ton, der das Theaterpathos verweigert. Wenn die Geliebte den Schmachtenden bei einer Zufallsbegegnung auf der Straße grüßt, dann wird das in mehreren Anläufen nachgestellt, Drexler winkt zaghaft, und Cooper und Rietmeijer erwidern als Doppel-Beatrice die Geste.
Dann verdichtet sich das Geschehen, so wie Dantes Text, bei dem jede emotionale Spannung in einem Sonett oder einer Kanzone kulminiert. Es ist ein sehr dynamischer Abend, voller Bewegung und Aktion.
Man kann sich den Erzähler als Moderator einer Hitparade vorstellen. Als fünfter Akteur steht ein automatisches Klavier auf der Bühne, das sehr eigenwillig reagiert, manchmal unvermittelt losklimpert als Soundtrack zur Love Story. Als Drexler nach dem nicht erwiderten Gruß Beatrices ihre Verletzung schildern will, als sie mit den Worten ringt, dass man nicht sagen kann, ob sie wirklich hängt oder nur Sprachlosigkeit mimt, dann mündet das in Gesang. Sie will Britney Spears‘ Hit „Baby One More Time“ anstimmen. Aber das Klavier ist nicht ihr Freund, verdichtet nach den Eingangsakkorden die Begleitung zu einer barocken Fuge, die Drexler aus der Bahn wirft. Ein emotionales Fiasko. Eine Verletzung, die man nachfühlt. Auch andere Popsongs wie Whitney Houstons „I Will Always Love You“ und Meat Loafs „I‘d Do Anything for Love“ werden nicht einfach reproduziert, sondern lösen eigene Szenen aus (Musik: Jonas Holle, Paul Hankinson).
Immer wieder eskaliert das Spiel. William Cooper bedrängt Rebgetz, der als Dante seine Liebe nicht eingestehen will. Er redet auf den verlegen Zaudernden ein: „Sag‘s einfach. Weil‘s nervt. Nun spuck‘s doch endlich aus!“
Die Dame, die fälschlich für Dantes Geliebte gehalten wird, weil sie zwischen ihm und der angeschmachteten Beatrice saß, die heißt hier Elke. Warum auch nicht?
Anne Rietmeijer verwandelt das Sonett über den Tod in einen furiosen Wutausbruch, eine schäumende Beschimpfungssuada: „Nimm dein Scheiß-Virus und lass uns mal in Ruhe!“
Und als Drexler dann wieder über die Liebe spricht, von der es vielleicht genügt zu wissen, dass es sie da draußen gibt, da küssen sich die übrigen drei, die am Klavier sitzen, reihum, innig, ein konkret sinnliches, körperliches Bild von Erotik, wie man es lange nicht live auf Bühnen sehen durfte. Ein Schockmoment. Ein neues Leben. Möglich durch Impfstoff.
Auch Dantes Höllenfahrt (ein Vorgriff auf die „Göttliche Komödie“) wird ins Bild gesetzt. Da fährt eine grell leuchtende Laterne vom Bühnenhimmel, Dunkel, Kunstnebel, wummernde Elektroklänge. Durch diese Szenerie lässt Rüping ein stoffwehendes Gespenst huschen, eine Raupe kriechen. Das währt lange, wohl zu lange. Aber man soll das Inferno ein wenig mitleiden. Und dann hat eine weiße Gestalt ihren Auftritt: Viviane de Muynck ist Beatrice, die im Jenseits gegenübertritt. Die 75-jährige Belgierin gibt all dem Liebespathos, das trotz allen Ironisierungen vorher aufkam, eine feine Wendung. Die Gefühle des Erzählers werden befragt. „Du hast dir mich anders vorgestellt, rosige Wangen, feine Glieder, Arschgeweih, oh je...“
In Bochum bleibt Rüping ganz bei Dantes Geschichte und holt sie doch über die Epochendistanz in die Gegenwart. Es gibt so viele Momente puren Theatervergnügens, angefangen bei der Spielfreude der Akteure. Die ironische Brechung, das Einziehen der Metaebene. Die überwältigenden Bilder (Bühne: Peter Baur, Kostüme: Lene Schwind, Lichtdesign: Bernd Felder). Die Premiere wurde minutenlang bejubelt.
19.9, 10.10.,
Tel. 0234/ 3333 5555, www. schauspielhausbochum.de