Romeo Castelluccis „Bros“ bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen

Der Theaterkünstler Romeo Castellucci stellt sein düsteres Macht- und Gewaltprojekt „Bros“ bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen vor. Eine deutsche Erstaufführung mit irritierenden Szenen.
Recklinghausen – „Vergessen Sie die Ohrstöpsel nicht“, sagt ein Herr am Eingang zum Kleinen Haus der Ruhrfestspiele. Schnell die Schaumstoff-Hilfen gegriffen, ein paar Schritte noch bis zum Sitzplatz und schon donnert eine Geschosssalve los. Inmitten der neblig düsteren Bühne steht eine alte Filmkamera, die sich fortwährend dreht und mal an ein Maschinengewehr oder eine Überwachungstechnik erinnert. Es ist laut und verstörend. Danke für die Ohrstöpsel!
Die Bedrohung nimmt in Romeo Castelluccis neuem Theaterprojekt zu. Die Ruhrfestspiele in Recklinghausen sind vom Theaterkünstler ausgewählt worden, seine Produktion „Bros“ als Deutschlandpremiere zu zeigen. Neben dem Goldenen Löwen der Biennale in Venedig zeichnen Theaterpreise Castelluccis Werk aus. Bachs „Matthäuspassion“ (Hamburg) und Mozarts „Requiem (Aix-en-Provence) feierte er mit großen Bildern und Fiktionen. Er bietet auf Festivals das Unerwartete.
In Recklinghausen ist es nicht anders. Nur, dass Castellucci nun Szenen mit Bezug zur Gegenwart schafft. „Bros“, englisch abgekürzt für Brothers, ist eine Koproduktion mit Societas. Handlungen werden vorgeführt, die an Brüderschaften, Männerbünde und an Machtmissbrauch denken lassen. Als Regietechnik ist hier die Anweisung zum Werkzeug erhoben. Über 20 Männern wird befohlen, was sie zu tun haben als Polizisten. „Auch wenn ich diesen Satz nicht verstehe“ haben die Befehlsempfänger unterschrieben.
Fortan ist das Unausweichliche auf der Bühne spürbar. Dabei wirken die Bibelzeilen aus „Jeremia“ wie ein Epilog, den der Prophet (Valer Dellakeza) auf Hebräisch in weitem Gewand dramatisch vorträgt. Gott, der Herr, wendet sich gegen alles, was ihm missfällt – eine Übersetzung ist mitgeliefert. Und dann beginnen ritualisierte Aktionen. Polizisten stellen sich zu Gruppenbildern auf, die an Corpsgeist erinnern; eine Puppe wird aus einem Leichentuch gerollt wie ein Opfer; ein Polizist zieht eine Maske über und macht sich unkenntlich – was hat er vor?
Es gibt heftige Szenen. Zwei Polizisten prügeln wechselweise einen nackten Gefangenen. Keine Szene ist länger, brutaler, irritierender. Wer „explizite Gewaltdarstellungen“ meiden will, sollte sich „Bros“ sparen – auch Waterboarding zählt zum Repertoire. Die Szenerie soll das Publikum einschüchtern und ängstigen, bis zum Aufmarsch der Polizisten im Zuschauerbereich. Dass dies alles mit Gewaltkulturen in Staaten zu tun hat, ist nichts Neues. „Bros“ bietet eine ästhetisierte Gewaltchoreografie. Auch zum Nachdenken.