Weltfrühchentag
Nur so schwer wie eine Tüte Mehl: Steffen Janke kommt vor 23 Jahren zwölf Wochen zu früh auf die Welt
Der 21. Januar 1997 war für die Familie Janke ein Tag der Freude, aber auch der Beginn einer schweren Zeit. Ihr Sohn Steffen wird zwölf Wochen zu früh geboren. Zum Weltfrühgeborenentag erzählen sie wa.de ihre Geschichte.
Hamm – Wer Steffen Janke heute trifft, sieht einen ganz normalen 23-Jährigen. Er ist 1,73 Meter groß, sportlich und hat dunkelblonde Haare. Mit locker überschlagenen Beinen sitzt er neben seinen Eltern auf dem Sofa im Foyer des Medienhauses und erzählt von seinem Lieblingssport Crossfit, dem Leben in der WG und seinem Studium – er studiert Deutsch und Sport auf Lehramt. Nichts lässt darauf schließen, dass sein Start ins Leben mehr als holprig war. Denn Steffen kam als Frühchen zur Welt.
Der 18. Januar 1997 beginnt für Christine Janke, wie jeder andere Tag. Die Intensiv-Kankenschwester tritt morgens ihre Schicht im EVK an, arbeitet und kommt nach Hause. Die damals 30-Jährige ist im sechsten Monat schwanger. „Damals war es noch ganz normal, dass Schwangere gearbeitet haben“, erklärt sie.
Wehen beginnen zwölf Wochen zu früh
Doch am Abend hat sie dann plötzlich Wehen. Viel zu früh. Ihr Mann Ralf fährt sie ins Krankenhaus. „Dort haben wir alles versucht, um es heraus zu zögern“, erinnert sich die Mutter. Immerhin drei Tage können sie gewinnen und noch wichtiger: die Lungenreife. Sie ist wichtig für die Atmung des Säuglings. Dann platzt die Fruchtblase und Steffen wird mit 37 Zentimetern und 1115 Gramm geboren. „Er war gerade einmal so groß wie meine Hand und so schwer wie ein Paket Mehl“, erinnert sich der Vater.
Jedes Zehnte Kind kommt zu früh
Alle Babys, die vor der 37. Schwangerschaftswoche zur Welt kommen, gelten als Frühchen. Das entspricht etwa zehn Prozent aller Kinder, die geboren werden. Babys, die zwischen der 22. und 25. Schwangerschaftswoche das Licht der Welt erblicken, gelten als überlebensfähig. Das variiert jedoch von Land zu Land, denn Lebensfähigkeit hängt auch von anderen Faktoren wie zum Beispiel dem Gewicht ab. Selbstverständlich ist bei so kleinen Frühchen nichts. 2019 wurden im EVK 279 Frühchen geboren. 2020 waren es bis zum 31. Oktober 252 Frühchen.
Es beginnt eine Zeit des Bangens, denn jeder Moment könnte der letzte sein. „Damals war die Neo-Intensiv noch nicht am Kreißsaal. Er musste im Brutkasten rüber in die Kinderklinik gebracht werden“, erklärt die Mutter und holt ein Fotoalbum aus ihrer Tasche.
In dem mit blauem Bärchenstoff ummantelten Album hat sie jeden Moment festgehalten. Man sieht das winzige Baby angeschlossen an Kabel und Schläuche im weißen Inkubator, auf einem anderen liegt es auf der Brust des Vaters. „Das nennt man känguruhen. Das Kind hört dann den Herzschlag und spürt die Wärme und das ist gut für das Kind“, erklärt die Mutter. Ein Abzug dieses Bildes hing auch einige Jahre in einem Raum des Perinatalzentrums des EVK.
Zehn Wochen bleibt er im Krankenhaus, dann zwei Wochen vor seinem eigentlichen Geburtstermin darf Steffen mit seinen Eltern nach Hause. „Man kriegt ein Kind mit nach Hause und weiß nicht, was wird. Man ist immer in Lauerstellung“, sagt die Mutter. Denn Steffen hängt zu dieser Zeit noch immer an einem Monitor. Wenn sich eine Elektrode löst, erschallt ein Alarm und die Eltern stehen im Bett.
Es folgt ein Jahr voller Arzttermine, Physiotherapie und Frühförderung. Weil Steffen Probleme mit den Bronchien hat, verbringt die Familie jeden freien Tag auf ihrem Dauercampingplatz an der Nordsee. „Manchmal mussten wir ihn ins Watt tragen, weil er so schwach war“, sagt die Mutter.
Die Therapien schlagen an und Steffen entwickelt sich normal. „Das ist nicht selbstverständlich und dafür sind wir so froh und dankbar“, sagen die Eltern.
Besondere Geburtstagstradition
Steffen selbst hat erst spät gemerkt, dass seine Geburt etwas Besonderes war. „So richtig bewusst wird einem das erst jetzt, wenn man mit Freunden darüber spricht. Wir sind aber immer offen damit umgegangen. Wir hatten zu Hause eine Kiste mit Sachen aus der Zeit. Elektroden und eine Magensonde und so etwas. Damit habe ich dann gespielt“, erklärt der 23-Jährige.
Eine Sache ist Steffen aus seiner Kindheit aber trotzdem in besonderer Erinnerung geblieben: „Bis zu meinem 18. Geburtstag sind wir jedes Jahr an meinem Geburtstag zur Baby-Intensiv gegangen. Mit einer Kiste mit Süßigkeiten und haben da die Ärzte und Schwestern besucht. Das war ein schönes Ritual.“
Hammer Gebäude erstrahlen in lila
Anlässlich des Weltfrühgeborenentags veranstaltete das Evangelische Krankenhaus Hamm in der Regel einen Infotag mit Aktionen und Ausstellungen zum Thema Frühgeburt. In diesem Jahr ist dies Pandemie-bedingt nicht möglich – dennoch soll die Aufmerksamkeit auf diesen Tag gelegt werden. So erstrahlen am heutigen Dienstag das Medienhaus von WA und Lippewelle, der Glaselefant im Maxipark, das Heinrich-von-Kleist-Forum, das Kurhaus und im Rahmen der Aktion „Willkommen in Hamm“ auch das Bahnhofsgebäude in lila gemäß dem Motto „Light it up purple“. Zudem gibt es ein Video mit Fotos und kleinen Sequenzen von Frühgeborenen.