Nach der Ebbe die Schwemme: Markenhersteller fluten Fahrradhändler

Der Beginn der Fahrradsaison steht bevor. Wer sich dazu ein neues Fahrrad anschaffen möchte, hat gute Chancen, fündig zu werden – allerdings nicht überall.
Hamm – Von Lieferengpässen ist fast keiner der befragten Händler in Hamm betroffen. Das hatte vor gut einem Jahr noch ganz anders ausgesehen angesichts von Corona und unterbrochenen Lieferketten. Zwei extrem gegensätzliche Äußerungen gibt es von Zweiradhändlern. „Es gibt keine Engpässe mehr“, sagt der „Radpunk“ Patrick Pruß, der sein Geschäft im ehemaligen Herlitz-Gebäude in der Innenstadt betreibt: „Der Kunde muss nicht mehr suchen, dass er überhaupt ein Fahrrad findet. Er hat wieder die Wahl und kann das Rad finden, das am besten zu ihm passt.“ Vor allem die großen Marken hätten reichlich Ware bei den Herstellern bestellt.
Ganz anders sieht die Situation bei Klaus-Martin Schricke an der Kamener Straße aus: Es gehört keinem Einkaufsverbund an, hat sich an keine Marke gebunden. Das wirkt sich aus: „Ich kann keine Entwarnung geben, es ist bei Weitem noch nicht alles wieder lieferbar“, sagt er: „Die kleinen, freien Händler müssen gucken, wie sie an Ware kommen.“ Wenn er im März ein Fahrrad bestellt, könne es sein, dass es ihm erst im Oktober geliefert wird. Dass er auf seiner Homepage trotzdem auf Preisreduzierungen bei einigen Fahrrädern und E-Bikes hinweist, scheint da ein Widerspruch zu sein, aber: „Ich reagiere damit nur auf andere Händler“, sagt Schricke.
Ein gutes Fahrrad oder ein „Name“?
Ebenfalls ohne Bindung an bekannte, große Marken kommt Bernhard Lülf von der „Bike-Factory“ in Westtünnen aus: Er habe sich auf Nischen-Produzenten spezialisiert, die dennoch gute Qualität lieferten, beispielsweise aus den Niederlanden. Mit diesem Produzenten habe er schon in der Corona-Zeit gute Erfahrungen gemacht, obwohl auch sie „ihren Preis“ haben. Wenn ein Kunde bei einer Beratung nach bekannten Markennamen fragt, würde er zurückfragen: „Wollen Sie ein gutes Fahrrad oder einen Namen?“ Elektrofahrräder, also Pedelecs, machen bei Lülf rund vier Fünftel des Geschäfts aus. „Der Rest sind Biobikes oder Currywursträder“, wie er den konventionellen Pedalantrieb allein mit Muskelkraft nennt.
Auch Tobias Neßeler, der in Bockum-Hövel gerade erst Fahrrad Schwarz übernommen hat, setzt auf Nischenprodukte - aber nicht nur. Wenn ein Kunde eine bestimmte Marke haben wolle, dass müsse er mit Wartezeiten von sechs bis acht Monaten rechnen. Neßeler hat eine Manufaktur aus dem Münsterland im Angebot, deren Räder durchaus „Premiumprodukte“ seien. Der Vorteil: Die Lieferzeit für ein individuell konfiguriertes Fahrrad liege bei vier Wochen, mit Wunschfarbe bei sechs. Und die Versorgung mit Ersatzteilen sei durchweg gut.
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99 Prozent der Kunden nehmen „Fahrrad von der Stange“
Individuelle Kundenwünsche gibt es im Bike-Center Hallmann an der Wilhelmstraße kaum: „99 Prozent meiner Kunden nehmen ein fertiges Rad, wie es im Laden steht“, sagt Bernd Hallmann. Kleine Änderungen wie einen anderen Sattel werden es bei ihm wie bei allen anderen Händlern sofort umgesetzt. Auch Hallmann sagt, dass es keine Lieferprobleme mehr gibt - im Gegenteil: „Im Moment werden die Händler mit Rädern zugeschüttet.“
Das sieht Detlef Spitz von Velocity in Uentrop nicht ganz so: Vor allem Vorjahresmodelle würden erst jetzt ins Geschäft kommen, weil die Hersteller in der Zeit der Lieferengpässe sehr reichlich bei den Herstellern geordert hätten. „Das muss erst einmal abgearbeitet werden“, sagt Spitz - und: „An einigen Stellen sind die Bremsen noch immer angezogen.“ Damit meint er einige Ersatzteile: Auf einen Ersatzmotor habe er fast ein halbes Jahr warten müssen. Der Eindruck, dass es also momentan einen „Überfluss“ an neuen Fahrrädern gibt, führt laut Spitz trotzdem nicht dazu, dass die Preise auf breiter Front sinken werden, dafür seien die Kosten allerorten einfach zu stark gestiegen: beim Material, beim Transport und auch beim Personal.
Markige Worte findet Ingo Schütte, Inhaber von Zweirad Stantze in Heessen: „Die Lage ist wieder katastrophal, diesmal nur anders herum.“ Das sei wohl „ein Knoten geplatzt“ und es gebe geradezu eine „Schwemme“ von Fahrrädern auf dem Markt. Er selbst habe Probleme, sie alle unterzubringen. Auch Ute Niehues bestätigt, dass die Lager derzeit gut gefüllt seien, weil aktuell auch die 2023er Modelle geliefert würden. Der Markt werde sich im Laufe des Jahres sicher regulieren, weil bei vielen Kunden jetzt Bestellungen abgearbeitet werden können. Niehues begrüdet das relativ hohe Preisniveau bei Elektrorädern auch damit, dass sich die Technik verbessert habe: Es gebe größere Akkus mit mehr Reichweite und modernisierte Antriebssysteme.