Verleumderische Brief-Affäre
Mobbing: Wirtschaftsförderung kündigt Mitarbeiter und scheitert vor Gericht
Im realen Leben laufen bisweilen noch schlechtere Filme als im Privatfernsehen. So ist jedenfalls der Eindruck von einem Mobbing-Fall, der sich vor Monaten in den Räumen der Wirtschaftsförderung Hamm (WFH) abgespielt hat und aktuell das Arbeitsgericht beschäftigt.
Hamm – Am Mittwoch endete die erste Episode mit einer krachenden Niederlage für die WFH beim gerichtlichen Kammertermin. Folgender Vorwurf steht im Raum: Ein leitender Mitarbeiter der WFH soll eine seiner Mitarbeiterinnen sexuell belästigt und zu einer Affaire gedrängt haben. Das Ganze gipfelt im Jahr 2019 in einer anonymen Brief-Affäre, in der die Mitarbeiterin bei führenden Stellen in der Stadt bis hin zum Oberbürgermeister übelst diffamiert wird. Unter anderem wird in den – maschinell erstellten und in schlechtem Deutsch formulierten – Schreiben behauptet, die Frau prostituiere sich in ihrer Freizeit.
Die Betroffene erstattet Strafanzeige und vermutet ihren Vorgesetzten hinter diesen Briefen. Tatsächlich sind die Adressen auf den Briefkuverts, in denen die Schreiben stecken, handschriftlich erstellt worden. Und tatsächlich geben die Staatsanwaltschaft/Polizei ein grafologisches Gutachten in Auftrag. Ergebnis: Die Handschrift auf den Kuverts soll die des Vorgesetzten sein. Es kommt nicht zu einem Prozess, sondern das Verfahren wird gegen Zahlung einer Geldsumme durch den 51-jährigen WFH-Mitarbeiter – wohl 3000 Euro – eingestellt.
Als Wirtschaftsförderungs-Chef Karl-Georg Steffens davon erfährt, leitet er im April 2020 ein Kündigungsverfahren gegen seinen leitenden Mitarbeiter ein. Steffens wertet die Zahlung als ein Schuldeingeständnis – die Kündigung ergeht fristlos.
Hinreichend um Aufklärung bemüht?
Dagegen wiederum geht der Mitarbeiter vor und klagt gegen die Wirtschaftsförderung auf Wiedereinstellung. Sein Anwalt spricht von gänzlich unbegründeten Vorwürfen. Daran könne auch die Einstellung des Strafverfahrens durch die Zahlung des Geldbetrags nichts ändern. In der Tat bleibt genauso gut denkbar, dass der Mandant allein deshalb gezahlt hatte, weil er in der leidigen Brief-Angelegenheit seine Ruhe haben wollte.
In der Sitzung am Mittwoch teilt auch die Vorsitzende der 3. Arbeitsgerichtskammer diese Meinung. Die Wirtschaftsförderung kann aus Sicht des Gerichts nicht überzeugend darlegen, dass sie im Zeitraum vor der Kündigung hinreichend um eine Aufklärung des Sachverhalts bemüht gewesen war. Die Kündigung wird als Verdachtskündigung eingestuft, die Akte vom Strafprozess erst gar nicht beigezogen. Für das arbeitsrechtliche Verfahren sei der eingestellte strafrechtliche Vorgang nicht von Belang, heißt es. Die Verfahrenseinstellung spreche laut Bundesarbeitsgericht weder für noch gegen den klagenden WFH-Mitarbeiter.
Am Ende des einstündigen Kammertermins können sich die Parteien nicht auf eine vergleichsweise Lösung verständigen. Dass Arbeitsverhältnis zum 30. September ordentlich zu beenden samt einer Abfindung von 47.000 Euro hatte das Gericht als Tendenz vorgeschlagen.
Ich halte das Gerichtsurteil für komplett unverständlich.“
Wirtschaftsförderung will in Berufung gehen
Am Ende ergeht das Urteil, dass die ausgesprochenen Kündigungen (neben der fristlosen gab es auch eine ordentliche und eine betriebsbedingte) allesamt unwirksam seien. Der klagende Mitarbeiter sei zu den in seinem Arbeitsvertrag geregelten Arbeitsbedingungen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung weiterzubeschäftigen. Ferner solle er ein qualifiziertes Zwischenzeugnis erhalten. Die Kosten des Verfahrens habe die Wirtschaftsförderung zu tragen, der Streitwert wird auf knapp 58.000 Euro festgesetzt.
Wirtschaftsförderungschef Karl-Georg Steffens kündigte an, „auf jeden Fall“ in die Berufung gehen zu wollen. „Ich halte das Gerichtsurteil für komplett unverständlich“, sagte er im Nachhinein. An eine Weiterbeschäftigung sei überhaupt nicht zu denken. Notfalls werde er dem Mitarbeiter, auch mit Rücksicht auf die nach wie vor dort beschäftige Kollegin, ein Hausverbot erteilen.