Hamm ist reich an Bausünden. Das findet zumindest die Architekturhistorikerin und Fotografin Turit Fröbe. Sie hat Bilder für ihren Abrisskalender aufgenommen und fand viele Motive in Hamm. Im Interview verrät sie, ob sie Hamm hässlich findet.
Sie haben überall in Deutschland nach den Motiven für Ihren Bausünden-Kalender gesucht. Nun kommen 19 der 366 Motive aus Hamm. Ganz schön viel, oder?
Ich bin überrascht, dass es nicht noch mehr Motive sind. Ich bin in Hamm auf ein ganzes Nest gestoßen. Das meiste sind Steingärten, die gibt es hier wirklich zu Hauf.
Wie kamen Sie auf Hamm?
Als die Entscheidung fiel, dass ich einen Bausünden-Kalender machen kann, war ich viel in Baden-Württemberg unterwegs. Da habe ich gesucht und gesucht, aber kaum Bausünden gefunden. Ich hatte das Gefühl, dass dort keiner so gern aus der Reihe tanzt und dachte schon, die Zeit der Bausünden sei vorbei.
Und dann?
Habe ich mit Mühe und Not viele Motive zusammenbekommen, war fast fertig mit dem Kalender, als ich auf Reisen in Mönchengladbach Station machte und unterwegs in Hamm hielt. Ich habe hier richtig viel gefunden. Ohne diese Stopps wäre der Kalender sehr viel langweiliger geworden.
"Originelle Bausünden haben Potenzial"
Was macht die beiden Städte so hässlich?
Sie sind gar nicht hässlich, das ist es nicht, was eine Bausünde ausmacht! Gut gemachte originelle Bausünden haben durchaus ein Potenzial und manchmal auch ein Echo: Es gibt dann nicht nur die eine Bausünde, sondern Nachbarn, die sich daran orientieren. Außerdem sind Bausünden häufig Gebäude, die nicht mehr zeitgemäß sind.
Architektur unterliegt stark Moden. In 20, 25 Jahren werden wir uns an dem satt gesehen haben, was wir heute modern finden. Außerdem zeigen viele Bausünden einen besonders Gestaltungswillen, wenn auch einen, bei dem etwas schief gegangen ist. Die Besitzer wollten etwas Eigenes schaffen, sie wollten Individualität und sind dabei übers Ziel hinaus geschossen.
Gestaltungswillen klingt gut. Müssen wir uns freuen, dass wir so oft im Kalender sind?
Das nun auch wieder nicht. Viele der Hammer Bausünden sind ja Steingärten. Sie zeigen zwar etwas Gestaltungswillen. Aber zugleich wächst da nichts mehr, darunter liegt ja Folie, alles ist versiegelt, alles ist tot. Das ist eine Katastrophe.
Gibt es Bausünden in Hamm, die Ihnen besonders gefallen?
Das Haus gegenüber des Museums. An der Fassade sind Rohre und Pflanzen zu sehen. Von weitem habe ich mich gefragt, was das ist, bis ich festgestellt habe: Das hat jemand gemalt! Das ist der Knaller, dass sich da jemand hingestellt hat, um zu malen, und ausgerechnet dieses Motiv gewählt hat! Grandios!
Die Autorin
Dr. Turit Fröbe studierte nach dem Abitur 1990 in Niebüll Kunstgeschichte, Archäologie und Europäische Urbanistik in Marburg und Weimar. Sie promovierte 2015 in Hamburg mit einer Arbeit über die Rezeption der Akropolis im Werk von Le Corbusier. Anschließend lehrte sie an der Universität der Künste in Berlin. Darüber hinaus ist sie Autorin, verfasste etwa den Bestseller „Die Kunst der Bausünde“ und das Bestimmungsbuch für moderne Architektur „Alles nur Fassade“.