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Schicksal Inkognito-Adoption: Wie eine Hammerin ihre Geschichte verarbeitet

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Von: Patrizia Frank

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Ihre leiblichen Eltern hat die Hammerin in ihrem späteren Leben nie kennengelernt.
Ihre leiblichen Eltern hat die Hammerin in ihrem späteren Leben nie kennengelernt. © Jens Kalaene

Petra Welkers aus Hamm arbeitet in einem Buch über die „Inkognito-Adoption“ ihr persönliches Schicksal auf – und will aufklären.

Hamm/Lüdinghausen – Sie selbst beschreibt ihre früheste Kindheit als „eine ungewöhnliche und in vielerlei Hinsicht tragische Geschichte, die aber glücklich endete“. Um allerdings an diesen Punkt zu kommen, um das Glück am Ende des Weges wahrnehmen und den eigenen Weg als Erwachsene weitergehen zu können, benötigte Petra Welkers eine Menge Kraft – und den unbändigen Willen, Licht ins Dunkel ihrer frühesten Kindheit zu bringen, die so anders war als bei vielen anderen.

Die heute 57-Jährige gebürtige Hammerin hat ihre Erinnerungen, Gedanken und Gefühle in einem Buch aufgeschrieben. Mit dem sie, so hofft sie, auch anderen Betroffenen der damals üblichen „Inkognito-Adoption“ helfen kann.

Wegen einer Lüge ins Kinderheim abgeschoben

„Ich kam im Jahr 1966 in meine Pflegefamilie. 13 Jahre später erst, 1979, wurde ich adoptiert“, erzählt sie. Dass sie ihrer leiblichen Mutter damals aufgrund einer frei erfundenen Geschichte gewaltsam entrissen wurde, dass ihr Vater sie im vollen Bewusstsein dieser Lüge in ein Kinderheim abschob und sie 1966 dann in die Obhut ihrer Pflegefamilie kam – all das begann sie erst 2017 zu verstehen, als sie bereits 52 Jahre alt war, nachdem sie beim Jugendamt der Stadt Hamm Einsicht in ihre Adoptionsakte nehmen konnte und kurz darauf ihren leiblichen Bruder kennenlernte.

Die Inkognito-Adoption

Unter einer Inkognito-Adoption versteht man eine Adoption, bei der sich leibliche Eltern und Adoptiveltern nicht kennen. Um bei einer Adoption alle Beteiligten vor Dritten zu schützen, hat es den Ansatz der Inkognito-Adoption in Deutschland gegeben.

Stiefschwester klärt sie im Teenager-Alter auf

Über ihren Status als Pflegekind wurde sie erst 1978 aufgeklärt. „Ich habe es damals noch nicht einmal von meiner ,Pflege-Oma‘ selbst erfahren“, erinnert sie sich. Es war ihre Stiefschwester, damals schon erwachsen, die ihr im Teenager-Alter die Wahrheit sagte. „Es muss eine große Krise für mich gewesen sein“, sagt sie.

Erinnerungen an die Zeit nach der „Offenbarung“ hat sie allerdings kaum noch. „Ich weiß, dass ich damals alles getan habe, um die ganzen Fragen, Zweifel und Unsicherheiten tief in mir zu begraben“, sagt sie. Erst im Jahr 2016, Welkers rutschte in einen Burnout, brachen sich im Rahmen einer Psychotherapie all die verschütteten Erinnerungen Bahn. „Ich erkannte, dass es für mich und mein Seelenleben notwendig war, meine Kindheitsgeschichte aufzuarbeiten.“

Das tat sie mit großem Engagement, forschte in Archiven in Hamm, Dortmund und sogar in Malbork in Polen nach Urkunden, die ihr mehr über die eigene Herkunft verraten konnten. „Familien- und Adoptionsforschung sind Hobbys geworden, die mich seit 2017 nicht mehr loslassen“, sagt sie.

Petra Welkers aus Hamm
„Ein Leben mit der Wahrheit ist allemal heilsamer als ein ganzes Leben mit Fragen, Zweifeln und Vermutungen“, sagt Buchautorin Petra Welkers. © Privat

Über Ihre Homepage und ihre „Geburtsgeheimnis“-Facebook-Gruppe nehmen Menschen Kontakt zu ihr auf, denen sie bei der Aufarbeitung der eigenen Geschichte hilfreich zur Seite steht. „Die Praxis der Inkognito-Adoption betraf zwischen 1950 und 1990 in Deutschland etwa 290 .000 Menschen. Darunter bestimmt auch viele in Nordrhein-Westfalen und in der Stadt Hamm.“

Leibliche Eltern nie kennengelernt

Ihre leiblichen Eltern hat Welkers, die heute in Lüdinghausen lebt, nicht mehr kennenlernen können: „Sie sind beide seit vielen Jahren schon verstorben. Von den damals insgesamt sieben leiblichen Geschwistern leben heute nur noch drei.“ Zu ihrem leiblichen Bruder hat Petra Welkers heute eine sehr gute Beziehung. Ihr Bruder war es auch, der ihr die Wahrheit über ihre Herkunftsfamilie erzählte, und damit wesentlich zum Verständnis der Familien- und Zeitgeschichte in den 50er und 60er Jahren beitrug.

Seitdem und in Folge der ergebnisreichen Familienforschung ist Petra Welkers versöhnt mit ihrer Geschichte und hat das „glückliche Ende“ der ungewöhnlichen Kindheitsgeschichte erreicht. Welkers’ Fazit: „Die eigene Wahrheit zu erforschen kann schwierig und schmerzhaft sein, ermöglicht aber persönliches Wachstum und emotionale Freiheit. Immerhin ist ein Leben mit der Wahrheit allemal heilsamer als ein ganzes Leben mit Fragen, Zweifeln und Vermutungen.“

Zum Buch

Petra Welkers Buch „Geburtsgeheimnis. Adoption im Spiegel von Geschichte und Therapie“ ist erhältlich beim Tredition-Verlag (Softcover) und bei Amazon (E-Book und Softcover). Alternativ ist beides erhältlich bei Tolino Media und damit bestellbar im deutschen Buchhandel. Das Buch ist eine Mischung aus Sachbuch und zeitgeschichtlicher Einordnung der bis in die 80er Jahre hinein üblichen Praxis der „Inkognito-Adoption“. Im zweiten Teil des Buches verarbeitet Petra Welkers ihre Geschichte in einem Märchen. Der Internetauftritt der Autorin ist erreichbar unter geburtsgeheimnis.de.

Und noch mehr von Hammer Autoren: 1 .272. 607 Tonnen Kohle – nie wurde auf Radbod so viel gefördert wie im Jahr 1943. Möglich war das nur, weil zahlreiche Zwangsarbeiter auf der Zeche schuften mussten, wie in einem neuen Buch nachzulesen ist.

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