„Republik der Wölfe“: Claudia Bauer richtet ein Märchenmassaker an

Von Ralf Stiftel DORTMUND - Blut spritzt reichlich beim „Märchenmassaker“ im Theater Dortmund. Hier kommt kein Jäger, um das Rotkäppchen aus dem Bauch des bösen Wolfs zu schneiden. Hier greift Jakob Grimm (Sebastian Kuschmann) persönlich zur Riesenschere, um seine Figur zu retten. Wilhelm (Ekkehard Freye) hält nicht so viel von Happy Ends, er sähe gern auch Hänsel und Gretel brennen statt der Hexe.
Nein, kindertauglich ist das nicht, was Regisseurin Claudia Bauer mit dem Ensemble aus den Hausmärchen herausholte. Im Titel „Republik der Wölfe“ verbindet sich das Märchenmotiv des Raubtiers mit der Staatstheorie des Thomas Hobbes. Was, wenn nicht das Gute siegt, wenn Schneewittchen tot bleibt und Dornröschen nie erwacht?
Variationen und Parodien gibt es schon fast so lange wie die Märchen selbst. In Dortmund wird aus den alten Geschichten eine Folge fiebriger Träume in einem offenen Haus auf der Drehbühne (Bühne: Andreas Auerbach), verdoppelt durch Live-Videos (Kamera: Jan Voges) und kommentiert durch einen düster-melancholischen Soundtrack der Band „The Ministry Of Wolves“, zu der sich Paul Wallfisch, musikalischer Leiter des Theaters, mit Alexander Hacke (Einstürzende Neubauten), Mick Harvey (Nick Cave’s Bad Seeds) und Danielle de Picciotto zusammengeschlossen hat.
Da verbinden sich die blutigen Übersetzungen ins Splatterfach mit Zitaten aus der Filmgeschichte. Schneewittchens Zwerge (Mitglieder des Sprechchores) erinnern an die pelzigen Ewoks aus „Star Wars“ mit braunen Overalls, Kunstnasen und Pelzohren. In ihrem Lied klingt der Hit aus der Disney-Verfilmung an: „Hey-ho, Hey-ho...“
Sie spielen extrem schnell, rund zehn Märchen in 100 Minuten. Gerade haben die Zwerge Schneewittchen abgelegt, da jammert schon die Mutter von Hänsel und Gretel über die Begrenzung der Rohstoffe und die „überflüssigen Elemente“, die nichts zum Unterhalt der Gemeinschaft beitragen. Julia Schubert spricht mal Sarrazin, mal AfD und bringt auch einen Kernbegriff der Schweizerischen Volksabstimmung über die Begrenzung des Ausländerzuzugs unter: Dichtestress. So ist das, wenn man zu viert auf einem Klo haust und einen Keks mit dem Messer teilt.
Bestechend ist auch „Aschenputtel“ ins Medienzeitalter übersetzt: Peer Oscar Musinowski schwadroniert als Bildschirm-Prinz von der Einsamkeit, der „Armut der Reichen“, und posiert als Wohltäter, als UNO-Sonderbotschafter für Minenopfer in Sierra Leone. Aschenputtel und ihre Stiefschwestern himmeln ihn an wie Justin-Bieber-Fans. Und sie verstümmeln sich nicht, um in die Schuhe zu passen, sondern weil er damit kokettiert, einen Krüppel zu heiraten...
Blut spritzt reichlich. Und Schleim, Erbrochenes, zermatschte Schokoküsse, weißer Brei. Kuschmann ist ein dick ausgepolsterter Frosch, dem die Band zu jedem Schritt ein Schmatzen mitgibt. Man fühlt den Ekel Friederike Tiefenbachers mit. Und wenn der schleimige Kerl erst mal den Hosenschlitz öffnet, wird’s richtig fies, weil er nicht nur mit der Prinzessin im Bettchen liegt, sondern sie vergewaltigt.
In Rumpelstilzchen gibt Freye einen überehrgeizigen Vater, der dem König die Vorzüge seiner Tochter anpreist, bis der genervt nach dem Stroh-zu-Gold-Spinnen fragt. Dann ist die Gier geweckt. Dank der Videokamera bekommt Uwe Schmieder als Gnom Puppenzwergenarme.
Bauer gönnt uns Ruhepunkte, zum Beispiel die surreale Poesie des Bildes, in dem zwölf nicht mehr ganz jugendliche Sprechchordamen als Prinzessinnen tanzen. Und die Band dröhnt dazu einen Dreivierteltakt.
Sie schwelgen ein wenig zu sehr in Blut und Schleim. Sie zeigen die Wege durch die Bühnenaufbauten ein, zwei mal zu oft. Aber vielleicht gehört das zu dieser Märchendröhnung einfach dazu. Man sollte sich fallenlassen und genießen: Wie Friederike Tiefenbacher Glas zerkreischt. Wie Schmieder sich Wolf und Zwerg anverleibt. Wie Carolin Hanke als Aschenputtel den Spaß verdirbt. Wie Eva Verena Müller uns mit großen Augen anblickt – und am Ende traumverloren über die Wirklichkeit fantasiert. Dazu Metalgitarre, Schumann-Akkorde, Drehleier und Banjo. Großartige Schauspieler, berauschender Krach, wilde Bilder.
5., 6., 7., 8., 9.3., 11., 12., 13.4., 9., 10., 11.5., Tel. 0231/50 27 222, www.theaterdo.de
Die Musik gibt's auf CD (Mute Records) im Theater, 12 Euro