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Dietmar Sous erzählt im Roman „Roxy“ vom Aufwachsen in der Provinz

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Von: Ralf Stiftel

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Dietmar Sous
Dietmar Sous © M. Sous

Von Ralf Stiftel - An seinem 16. Geburtstag bekommt Paul Besuch von Rita, der besten Freundin seiner Mutter. Sie fährt mit ihm in ein Stundenhotel und zeigt ihm, „wie’s geht“. Ein Geschenk. „Wir zwei machen das nie wieder“, sagt sie.

Dieses Motiv aus Dietmar Sous’ Roman „Roxy“ ist nicht neu. Aber der Autor erzählt das schön lakonisch sachlich: „Rita sang einen Schlager aus dem Radio mit. Ihr Busen war viel schöner als ihre Stimme.“ Roxy, so nennen Freunde Paul Weber. Nach der Band Roxy Music, die er so toll findet. Glamourös aber ist sein Leben nicht. Der Vater ist durchgebrannt. Die Mutter interessiert sich für Alkohol, immer neue Liebhaber und das Mercedes-Cabrio, ihr Traumauto. Und berufliche Chancen? „Seit ich aus der Schule raus war, hatten sie mich schon dreimal gefeuert.“ Ein Leben in der Provinz am Niederrhein, abseits der Metropolen, ohne Aussichten auf Abenteuer.

Paul kann nicht lesen, aber dumm ist er nicht. Weil er Schulfunk hört. Ja, er hat sogar etwas von einem Klugscheißer, der selbst Kroll verbessert, dass nicht alle Niederländer Holländer sind. Dabei hängt es von Kroll ab, wie angenehm die Stelle beim Gartenbauunternehmen ist, ob man in der Sonne liegt oder die Steine für die Mauer schleppt. Aber als Roxy Sonja trifft, reicht sein Wissen allemal, um ihr zu einer Zwei in der Geschichtsklausur zu verhelfen. Aber ein Habenichts von der Straße ist für die höhere Tochter natürlich nicht gut genug. Doch manchmal gibt es eine zweite Chance.

Sous, 1954 in Stolberg geboren, führt den Leser zurück in die Siebziger, als David Bowie und Bryan Ferry definierten, was cool war, und man mit Willy Brandt einen Kanzler hatte, den selbst Rebellen respektierten. Was das hieß, lässt Sous seinen Helden ganz knapp im Urteil über den Nachfolger ausdrücken: „Sein Nachfolger war so, wie er hieß: Schmidt. Er hatte keinen Vornamen und kein Lächeln.“

Kleine Momentaufnahmen reihen sich zu einem Roman über das Heranwachsen, über Verliebtsein und Politik. Kurze Sätze deuten die Gefühle nur an, doch gerade darum glaubt man auch existenzielle Momente. Am Ende trifft Paul seinen älteren Kollegen Kroll vor dem Krankenhaus: „Was machst du denn hier?“ „Meine Frau. Krebs.“ „Scheiße.“ „Kannst du laut sagen.“ Kein Wort zu viel.

Der Autor schildert Baustellen mit ebenso scharfem Blick für das Milieu wie eine Verhandlung vor einem Prüfungsausschuss für Kriegsdienstverweigerung. Er erfindet wunderbare Nebenfiguren wie Zippi, die Politaktivistin, die bei allem Selbstbewusstsein so verletzlich ist, oder den Taxifahrer Kirschfink, einen Grobian mit goldenem Herzen.

Ein bisschen märchenhaft ist das manchmal, aber vor allem das warmherzige Porträt eines Außenseiters, der doch wenigstens ein kleines Glück findet.

Dietmar Sous: Roxy. Transit Verlag, Berlin. 143 S., 16,80 Euro

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